Loewenstein, Bedřich → de Boer, Theo
docx | pdf | html | digitalizáty ◆ korespondence | posudek, česky, vznik: 4. 6. 1986 ◆ poznámka: Hejdánkův medailonek pro Freie Universität Berlin

FREIE UNIVERSITÄT BERLIN

Fachbereich Geschichtswissenschaften

Friedrich-Meinecke-Institut

Prof. Dr. Bedrich Loewenstein

FB Geschichtswissenschaften. Habelschwerdter Allee 45, 1000 Berlin 33



Herrn

Prof. Dr. Th. de Boer

Universiteit van Amsterdam, Philosophische Anthropologie

Grimburgwal 10, gebouw 13



Ladislav Hejdánek (*1927) gehört zu den seltenen Philosophen, für die Philosophie keine bloß akademische Beschäftigung ist, die man wie jede andere Wissenschaft betreibt; man könnte sagen, daß ihm „Liebe zur Wahrheit“, filaletheia, Verpflichtung für das ganze Leben bedeutet. Der Wahrheitsbegriff, der von Anfang an im Mittelpunkt von Hejdáneks Denken steht, wird als mehr denn nur intellektuelle Kategorie aufgefaßt, nämlich als Voraussetzung jedes subjektiven Suchens nach Sinn. Daraus ergibt sich Hejdáneks fruchtbares Spannungsverhältnis zum theologischen Wahrheitsbegriff und zur christlichen Tradition insbesondere. Daraus ergibt sich aber auch sein Bedürfnis nach Wahrheit im praktischen Lebensbereich, nicht zuletzt im politischen. Es versteht sich von selbst, daß er damit in einen Konflikt geraten mußte mit einer sich wissenschaftlich gebärenden Eschatologie, die in Wirklichkeit in despotische Manipulation der gesamten Gesellschaft ausartet. Es war Hejdánek, der selbst einen humanitären Sozialismus vertritt, unmöglich, seine Vorbehalte gegenüber dieser Art von „Sozialismus“ für sich zu behalten; umgekehrt konnte das Regime,, das ein totales Wahrheitsmonopol beansprucht, diesen sanften, aber hartnäckigen Kritiker nicht tolerieren. Hejdanek hat den Konflikt nicht gesucht, aber als er sich abzeichnete, auch nicht gescheut und die Folgen mit sokratischer Gelassenheit auf sich genommen.

Hejdánek bekennt sich zu einer philosophischen Tradition, die unmittelbar von T. G. Masaryk und seinem Schüler E. Rádl herkommt, aber in einem weiteren Bogen J. Hus und J. A. Comenius als Vorgänger einbegreift. Für alle war die Wahrheit Verpflichtung, Bekenntnis; ihre Theorie immer auch Praxis, Kampf um alltägliche Fragen, gegen Gedankenlosigkeit, Zynismus, die Arroganz der Macht. Für alle war das Christentum ein zentrales Problem, wenn auch keine Sache unmittelbarer Identität. Alle haben sie gegen Gleichgültigkeit, Opportunismus, Routine angekämpft und das sittliche Profil ihres Volkes mitgeprägt – Hus als Reformator und Märtyrer; Comenius als Pädagoge, Pansoph und Bischof seiner verfolgten Gemeinde; Masaryk als praktischer humanitärer Philosoph, Publizist und Staatsgründer; Rádl als Philosoph des Friedens zwischen Tschechen und Deutschen, engagierter Reformpublizist und Sucher nach neuen Wegen in der Philosophie. Hejdánek wurzelt, bei aller Belesenheit in der modernen Philosophie, vor allem in dieser tschechischen Tradition. Er ist ihr Interpret und Fortsetzer – nicht nur in einem eng akademischen Sinn, sondern durch sein praktisches Eintreten für geistige Freiheit und Menschenwürde, nicht zuletzt durch sein unermüdliches Bemühen, in äußerst schwierigen Verhältnissen einem Kreis junger Menschen das philosophische Problembewußtsein und diese verpflichtende Auffassung von „filaletheia“ zu vermitteln.

Berlin, am 4. 6. 1986

(Prof. Dr. B. Loewenstein)