Theo de Boer: Mit Levinas in meiner Hosentasche nach Prag
raw | digitalizáty ◆ článek, německy, vznik: 31. 3. 1984

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nach Prag kan 1.Uebernommen aus der holländischen Tageszeitung TROUW Samstag 31.III.84 MIT LEVINAS IN MEINER HOSENTASCHE NACH PRAG/ Theo de Boer Charta '77 bleibt auf den Beinen, weil sie denken. Manchmal bieten ausländische Denker einige Assistenz. Dies ist nicht nach dem Wunsch der Machthaber dieses Augenblicks. So wurde der holländische Philosoph Theo de Boer in Frag für kurze Zeit festgenommen, weil er im Hause des Dissidenten Ladislav Heydánek eine Auseinandersetzung der Bedeutung des jüdischen Philosophen Levinas gan für die heutige Tsjechoslovakei gab. Am 20 Mai 1978 schrieb der Frager Fhilosoph Julius Tomin einen offenen Brief an stine Kollegen in Oxford, Harvard, Heidelberg und Berlin. Dieser Brief wurde zum Anlass einer Serie von Besuchen ausländischer Professoren in Prag, leider auch zum Anlass einiger Vorfälle. Tomin bat seine Kollegen um Hilfe. Er erzählte, dass er ein Jahr früher mit einer Anzahl Studenten beschlossen hatte sich nicht mehr länger von den Autoritaten gängeln zu lassen, die meinen bestimmen zu müssen, was philosophisch unterrichtet werden soll. Sie formten gemeinsam eine Gruppe und lasen klassische philosophische Taksi■ Texte. Man traf sich bei Tomins Mittwochabend 8 Uhr. Das war der feste Punkt des Zusammenkommens. Gleichzeitig kamen die Gegenmassnahmen des Regimes: Störung des Zusammenseins, Verhaftungen, Religieren der Studenten von der Universität, Verlust der Stelle der Teilnehmer, die schon in der Arbeit standen. In seinem Brief bat Tomin seine Kollegen für seine Studenten Vorträge zu halten, und zu diskutiewellen die Welt begreifen in der wir leben", schrieb er. Drei Jahre später musste Tomin den Streit aufgeben. Er konnte es psychisch nicht mehr aushalten und akzeptierte eine Einladung um 5 Jahre in Oxford zu lehren. Es stand aber schon einer da der seine Aufgabe weiterführte : Ladislav Heydánek. Kürzlich stand ein artikel von Heydánek inciner Niederlandische, philosophischen Zeitschrift ✓ Die Redaktion erklärte in einer Notiz zu dem Artikel, washath sie zu dem merkwürdigen Schritt, einen Beitrag eines tsjechischen Fhilosophen, der bestimmt war für die Festschrift eines andern tsjechischen Fhilosophen in einer niederländischen Zeitschrift zu publizieren, veranlasst hatte. Der Lebenslauf Heyidáneks bietet die Erklärung für die Tatsache, weshalb sein Artikel in seinem Heimatland nicht erscheinen konnte: "Mit Ausnahme von 3 Jahren hat der Autor in seinem ganzen Leben nie in seinem Fach arbeiten können, da er weigerte sich als Marxist zu tarnen". Heydanek hat nach Beendigung seines philosophischen Studiums als Detonarbeiter gearbeitet, dan als Corrector, Uebersetzer, Bibliothekar, Heizer und Nachtwächter Nur im Anschluss an den Prager Frühling 1968 hat er ein Paar Jahre als Dozent an der Prager Universitat tätig sein können. Als die Jahre der 'Normalisierung' kamen wurde er entlassen und bekam Publikation verbot. Seitdem kan man seine Aufsätze nur in schreibmaschinekopie im sog. "Samisdat" lesen. Lo Die Karriere von Heydánek zeigt grosse Aehlichkeit mit der seines Lehrmeisters Patocka. Jan Patocka ein Schüler des berühmten deutschen Philosophen Edmund Husse: war der bekannteste Philosoph in der Tsjechoslovakei nach dem Kriege. Aber in 1948 nach der Machtübernahme wurde er abgesetzt. In 1968 kehrte er zur Universität zurück, aber musste nach einiger Zeit erneut das Feld räumen. Patocka war einer der Errichter der Charta 177. · 1hm mutigen Viele in den Niederlanden werden sich seines. Namens noch erinnern als unser damaliger Minister van der Stoel seinen taferen Besuch brake xxxxg brachte al in einer Zeit da Patocka unter schwerem Druck stand und fortwährend verhört wurde.

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Kurze Zeit später starb Patocka. Er wird in der Tsjechoslovakei in hohen Ehren gehalten. Man findet sein Foto bei vielen Dissidenten. Eine Festschrift für ihn bestimmt, kann aber in seinem Lande nicht erscheinen. In einem Brief an eine französische Zeitschrift berichtete Heydánek in 1982 weshalb er in 1980 das Seminar von Tomin übernommen habe. Das war nicht bloss eine Gebärde der Solidarität seinem Kollegen gegenüber. Es war an erster Stelle ein Versuch der Philosophie in der Tsjechoslovakei eine Ueberlebenschance zu geben. Der Zustand der Philosophie ist deplorabel, wo nicht nur alle nicht-Marxisten, aber auch selbständig denkende Marxisten von der Universität entfernt sind. Danych besteht in der Tsjechoslovakei keine einzige institutionalisierte Möglichkeit mehr um sich über den Stand der Philosophie in der Welt zu orientieren. Das einzige was geblieben ist, ist ein Art vulärer und dogmatischer Marxismus. Die tsjechische Gesellschaft nähert sich dem Zustand den man als eine "Verschwörung der Incompetenten" bezeichnen könnte. Wer hier eine Meinung hat, erklärte Heydánek mir einmal der ist gefährlich. Nicht weil es unbedingt eine nichtmarxistische Meinung ist, aber einfach deshalb weil es deine Meinung ist. . ' Mai 1980 begann Heydanek in seinem eigenen Hause philosophische Vorträge zu organisieren. Dies Mal an Montagen. Auch bei ihm wurden diese Vorträge anfänglich von der Polizei verstört. Dann aber liess man ihm monatelang Ruhe. Selbst gab ich meine ersten Vorlesungen in seinem Hause im Herbst 1980 ohne irgendwelche Störung der Autoritäten zu bemerken. Dann kam ich noch drei Mal und erst bei diesem letzten Besuch wurde ich wie schon früher in der Zeitung berichtet wurde - konfrontiert mit einm Ueberfall der Polizei, die in Prag offiziell den Namen "Sicherheitspolizei" trägt. Das heisst nicht dass in den vorhergehenden Jahren ein Mangel an Interesse seitens der Obrigkeit gewesen wäre. So gut wie sicher wurden alle Zusammenkünfte abgehört. Am Montagabend ist meist ein Polizeiauto in der Nähe von wo man und Heimkehr der Teilnehmer observiert. Manchmal sind Polizisten an der Türe, die Ankunft die Namen der Teilnehmer notieren. Heydánek selbst wird regelmässig verhört. Aber es war anderthalb Jahre het seit dem letzten Polizei-Ueberfall. Dann werden alle Teilnehmer mitgenommen und auf kürzere oder Längere Zeit festgehalten. Die Folgen soll man nicht unterschätzen. Studenten können religiert werden andere ihre Stelle verlieren. Man spürt das solche Repression ihren Erfolg hat. Wenn der Druck stärker wird, dann kommen nur solche, die nichts mehr zu verlieren haben. Die Zahl aber ist gross und sie wird nahch dem letzten Eingriff und das ist das triste Geschehen wahrscheinlich wieder grösser werden. an dem Ich habe während meiner Besuche mit manchem Pfarrer gesprochen, der sein Brot verdienen muss als Heizer, oder Pförtner oder so etwas. Man muss den Mut der Menschen bewunderen die dieses Leben aushalten und trotz allem fortfahren mit ihrem Widerstand (Einsatz?). Protest. MONOTON Was sind die Motive Heydaneks dass er so halsstarrig festhält an diesen Zusarmenklinften? Er will zeigen, dass es den Autoritäten nicht zusteht, darüber was in seinem Lande auf geistigem Gebiet geschieht, zu verfügen. Alle Erziehungsinstitutionen in der Tsjechoslovakei basieren auf der offiziellen Staatsideologie. Wer der nicht anhängt so wie Christen das nicht tun bekommt keine einzige Chance seine Meinung zu äussern. So droht éine monotone und graue Einheitskultur zu entstehen, bei der Einaug könig ist. Darum will er Vorträge organisieren, bei denen Studenten erfahren können was im Ausland auf philosophischem Gebiet im Gange ist. Es geht ihm, wie ich schon sagte um die Ueberlebenschance der Philosophie

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zu einem Kompromis zu. Das regime hat schon einmal versucht mit Heydanek ein Abmachen zu kommen. Wenn er von vornherein ankündigen würde werk käme, dann würden sie ihn in Ruhe lassen. Dieser Vorschlag ist typisch für das Regime. Auf meine Frage während des Verhörs was ich nun eigentlich verbrochen habe weshalb sollte ich nicht irgends einen Vortrag halten dürfen bei Menschen zu Hause, die sich dafür interessieren bekam ich die Antwort ;:" das ist strittig mit den Gesetzen unseres Landes. Wir haben ein Ministerium das Vorträge organisiert". Für die Machthaber ist es ein Alptraum darüber wachen zu müssen, das nichts, aber auch garnichts passiert, worin sie nicht beteiligt sind, auch wenn es noch so unschuldig ist. Kenzeichnend für diese Mentalität ist deshalb auch, dass die Chartisten betiteld werden als 'Usurpatore', als Mensen "die sichselbst ernannt haben". Ein Bürger der Eigeninitiative entwickelt, ist jemand der sich widerrechtlich etwas aneignet. Heydanek hat diesen Kompromisvorschlag nach meinem Ermessen genial beantwortet. Er sagte: "Solange ihr eure Privatangelegenheiten zo öffentlichen macht, bin ich wohl gezwungen meine öffentlichen Angelegenheiten privat zu halten". Haben nun solche Kontakte ausländischer Professoren Sinn? Manchmal zweifelt man daran. Die Besuche sind nur kurz und incidentel. Bei meiner letzten Reise wurde XKurde mir aber der Nutzen wieder klar als ich den Bücherschrank eines Studenten sah. Seinahe alle westlichen Bücher konnte man darin zurückfinden. Aber nur Bücher genügen nicht. Menschen müssen kommen, die die in den Büchern besprochenen Text Problemen erläutern. Das führt zu weiterem Studium und so entsteht etwas von einer eigenen philosophischen 'alternativen ' Kultur. die Wir Holländer machen es reistens so, dass wir nicht einfach nur so einen Vortrag halten, aber wir kündigen vorher an кäxxxixxsagenxmöchte und schicken die Texte. So kann man sich vorbereiten und auch nach der Vorlesung sich weiter in den Stoff vertiefen. Selber habe ich in den vergangenen Jahren verschiedentlich Artikel des jüdischen Philosophen Levinas besprochen. Das hat inzwischen dazu geführt dass eine Reihe Artikel dieses Philosophen ins tsjechische übersetzt worden sind und gebündelt wurden. Den Widerhall dieser Vorlesungen kann man u.a. finden in einem Buch des bekannten Schriftstellers Vaclav Havel, das demnächst erscheinen wird. Sein Bruder, ein Zuhörer der Vorlesungen, brachte ihn in Verbindung mit Texten von Levinas. Er nahm sie mit ins Gefängnis wo Havel eine Strafe von 4 1/2 Jahren aussitzen musste, wegen seiner Teilnahme an den "Komité zur Verteidigung zu Unrecht Verfogter". Als ich ihm voriges Jahr kurz nach seiner Entlassung, fragte, was ihn so faziniert hätte an Levinas, sagte er: "ich bin kein Fachmann in philosophischen Dingen, aber ich habe das Gefühl das dies geschrieben wurde von jemand der selber im Gefängnisgesessen hatte. " Levinas, dessen Arbeit stark bestimmt ist von den Erfahrungen der Juden im Kriege, spricht in dem Abschnitt den Havel meinte über die Nacktheit und Verwundbarkeit des Menschen in einer Welt voller Unrecht und Verfolgung, in welcher nichtsdestotrotz einige sich einsetzen für die Schlachopfer. Sie sind wie Geiseln. Levines spricht von Geiselungnahme, weil man zu dieser stellvertretende Rolle in gewissem Masse gezwungen wird nicht durch die Macht des Feindes, aber durch die Kraft des Gewissens. Schon ehe er verurteilt wurde schrieb Have in seinem Buch 11 Versuch in der Wahrheit zu leben "3 dass man kein Dissident wird, weil man diese wunderliche Karriëre sich erwählen würde, aber weil man durch sein Verantwortungsgefühl, in Kombination mit einer Anzahl hinzukommender Faktoren, einfach in diese Positionherein gestürzt wird. i

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, Die Philosophie von Levinas hat vielleicht noch eine unvermutete Ausstrahlung xxBack Den Text, den ich an jenem bewussten Abend besprach ist besonders schwer und fragt viel Erklärung. Es war in dem Zimmer auch eine tsjechische Uebersetzung anwesend dieses Artikels. Als ich aus dem Zimmer ging sah ich einen der Sicherheitsbeamten, den Führer der Gruppe, etwas verzweifelt mit diesem Artikel herumlaufen. Er fragte Frau Heydánek was es bedeute. Ihre Antwort lautete etwas korselich. Zu meiner grossen Zufriedenheit sah ich wie das Dokument schliesslich in dem Sack der Geheimpolizei verschwand. Die Herren sind letzten Endes Experten im Enträtselen von Geheimnissen. Sie können ihre Zähne an diesem Text kaput beissen, wer weiss ob sie noch davon etwas lernen. Bizarr. Wie ging der Einfall der Polizei von statten ? Es wurde geklingelt und 3 Herren in Ziviltraten ein, die jedem befahlen seine Identitätspapiere vorzuweisen. Dann wurde die Gruppe gezählt und in 2 Partten aberansportiert. Selbst war ich bei der zweiten Gruppe, die noch etwa eine halbe Stunde zurückblieb ehe sie abgeholt wurde. Damit entstand eine bizarre ituation. Die Diskussion wurde nämlich einfach weitergeführt. Ich hatte soeben gesprochen über einen Abschnitt aus dem Artikel von Levinas über seine Erfahrungen im zwanzigsten Jahrhundert mit totalitären Systemen und ihre Konsequenzen für das Menschenbild. Ist es noch möglich das alts frühere humanistische Menschenbild zu bewahren, indem der Mensch ein freies Wesen ist, der seine Entschlüsse autonom fassen kann und sein Leben in eigener Hand hat ? Ist es nicht sichtbar geworden, dass der Mensch manipulierbar ist durch Geld oder Macht und dass er empfänglich ist für Propaganda ? Hat der Mensch noch Einsicht und Uebersicht über die gesellschaftliche Leben, so dass er es lenken kann? selbst Hier kam auch der Stalinismus en die Reihe und die Erfahrungen, die wir inzwischen mit sozialistischen Experimenten gemacht haben. Nun, während wir warteten auf den Abtransport, nahm einer der Teilnehmer der Draht wieder auf und fing an mit lauter Stimme zu erklären, dass es prima war, so wie es jetzt passierte, die Herren seien genau zur rechten Zeit gekommen. Auf die Theorie müsse ja eben dio Praxis folgen. "Hier haben wir run die Praxis " und damit machte er ein Gebahren hin zu den beiden Picherheitsbeamten, die ziemlich blöde dreinschauten. Resignation Nicht jedem ist es gegeben ein solches Widerstandsvermögen aufzubringen. Im Allgemeinen war die Stimmung resigniert und depressief und darunter versteckt ein Gefühl machtloser Wut. Dieser Eindruck verstärkte sich auf dem Polizeibüro xxxix, während wir im Wartezimmer standen, um zu warten bis einer an der Reihe war verhört zu werden. Durch meinen Passs beschirmt wurde ich sehr bald wieder freigelassen. Es ist aber kein glorieuser Abzug, wenn man seine Freunde in einer düsteren Kaserne zurücklassen muss und nicht weiss was ihnen noch über dem Kopf Hängt. Die Situation in der Tsjechoslovakei gibt tatsächlich Anlass über das Menschenbild nachzudenken. W ie bleibt man geistig stehend in einer aussichtslosen Situation? Auch hier (1 hat Havel uns eine treffende Antwort gegeben. Er schreibt in seinem "Versuch in der Wahrheit" zu leben, dass man nicht prophezeien kann welchen Effekt das Auftreten von Charta haben wird im Bewusstsein der Bürger, noch weniger welche politischen Aenderungen es verursachen wird. "Dieses aber gehört zum Leben in der Wahrheit: als existentiele Lösung bringt es den Menschen zurück zu dem festen Boden seiner Identität, als politisches Faktum stürzt es ihn in ein "Va-banquespiel". Darum wählen nur diejenigen dieses Leben die das erste der Mühe wert finden undas zweite in Kauf zu nehmen" (S.32) Angekommen in meinem Hotel, während der Schlaf nicht kommen wollte, wuchs in mir die Sicherheit, dass es tatsächlich nur ein Mittel gibt sich der Niedergeschlagenheitsle zu erwehren : fortfahren mit dem Protest. Folitisches Va-banquespielen um die se zu retten. }

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1 Fusznoten 1 Algemeen Nederlands Tijdschift voor Wijsbegeerte, Jan. 184, Jahrgang 76 2 Emmanuel Levinas, Humanisme de l'Autre Homme, Montpellier. 3 Vaclav Havel, Versuch in der Wahrheit zu Leben, Von der Macht der Ohnmächtigen, Hamburg, 1980, RoRoRo,