Poděkování Univerzitě v Amsterodamu za udělení čestného doktorátu filosofie
docx | pdf | html ◆ projev, německy, vznik: 1986/1987

Poděkování Univerzitě v Amsterodamu za udělení čestného doktorátu filosofie [1987]

(die Anrede – der üblichen Form nach, die ich nicht kenne)

Der Gießener Philosoph Odo Marquard, endete seinen vor Jahren gehaltenen Vortrag u.A. mit einem Aphorismus: Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt. Im Sinne des so g Gesagten kann ich nicht nur mich selbst, sondern auch viele meine Freunde und Kollegen als Trotzdem-Denker verstehen. Sollte so ein Trotzdem-Denken fürs philosophische Denken ausreichen, wären die Bedingungen für Philosophie in unserem Teil Europas äußerst günstig. Möchten Sie sich nur das Reichtum und die Fülle alles dessen vorstellen, in Beziehung wozu wir „trotzdem denken“ können.

Es ist jedoch noch lange nicht so einfach. Jedes Trotzdem-Denken kann sich erst dadurch als Philosophie qualifizieren, wogegen es sich in seinem „trotzdem“ distanziert und wie es sein „trotzdem“ durchführt. Je besser die Philosophen wissen, wogegen sie sich in ihrem Trotzdem-Denken wenden sollen und müssen, und je tiefer sie in der rechten Richtung durchzudringen imstande sind, die letzten Gründe der schlimmsten und unheimlichsten Nöte und Gefahren zu enthüllen und vor allem ihnen zu trotzen, desto größer werden sie denken und desto wichtiger wird ihr Denken für andere sein. Diese Nöte und Gefahren gehören doch zu unserem Zeitalter – und wir alle sind Kinder dieser Zeit. Aber gerade die Philosophen in uns sollten sich dagegen wehren. So glaubte z. B. Nietzsche, daß sich der Philosoph in ihm dagegen wehrte, daß er nur das Kind seiner Zeit – und das bedeutete für ihn: ein „décadent“, ein Produkt der Modernität, des christlich-europäischen Niedergangs – sei und sein bleibe, und insbesondere dagegen, daß er es bleibe, ohne so zu merken und zu begreifen.

Also: wogegen wehren wir uns eigentlich als Philosophen unserer Zeit? Worin dürfen wir uns nicht mehr als bloße Kinder und Produkte der Zeit verstehen? Und ein bißchen konkretisiert: ist die Postmodernität, über die jetzt so viel geredet wird, nur ein Produkt oder gar ein Nebenprodukt des Verfalls der Modernität? Anders gesagt: gehört die Postmodernität noch zum Prozeß des Sich-Durchsetzens des Nihilismus? Ist sie nur eine weitere Etappe des Zusammenbruchs der europäischen Tradition und Kultur – oder meldet sie schon das Ende dieses „Zwischenzustandes“? Wird in der Postmodernität „dieser unheimlichste aller Gäste“ bei uns erst recht zu Hause – oder beginnen wir in ihr mit diesem Gast schon zu scheiden? Kann es überhaupt so etwas geben, wie eine „postmoderne Philosophie“ – oder heißt es zu philosophieren auch heute nur eines und dasselbe, nämlich: der Postmodernität zum Trotz zu denken? Jede Gegenwart ist mehr oder weniger in ihrer Vergangenheit verwurzelt;ihre Wurzeln greifen oft sehr weit zurück. Die philosophische Tradition reicht bis zu den altgriechischen Philosophen und zu der Erfindung des begrifflichen Denkens und der intentional-gegenständlichen Konstruktionen. Die Philosophie unserer Zeit steht notwendig auch vor der Frage, inwieweit sie sich im weiteren in ihrem Trotzdem-Denken auch gegen diese Überlieferung der Vergegenständlichung von allem Begriffenen loslösen muß und kann. Die bisherige philosophische Tradition könnte so tief mitverantwortlich gewesen sein für das modern. Auftauchen der nihilistischen Stimmung und für die Mißdeutung der sogenannten „Entwertung aller Werte“. Die „Werte“ wurden immer als Abstraktionen gedacht, wodurch sie zu intentionalen Gegenständen konstruiert und fixiert werden konnten. Aber solche Werte „gibt es“ einfach nicht, sie sind nicht „real“, nicht „wirklich“ im gegenständlichen Sinne. Anderseits war so ein gegenständliches Denken nicht imstande die nichtgegenständliche Wirklichkeit als wirklich anzuerkennen, weil sie gerade nicht gegenständlich war. So mußte jede nichtgegenständliche Wirklichkeit als nicht wirklich, als „nichts“ angesehen werden.

Wir sehen vielleicht schon eine der Hauptaufgaben der heutigen Philosophie und wahrscheinlich auch der Philosophie der abschaubaren Zukunft: wir müssen ein neues Denken entfalten, neue Denkmethoden ausarbeiten, neue Techniken der begrifflichen Denkarbeit erfinden, wodurch wir die Grenzen des gegenständlichen Denkens überschreiten könnten. Das wird nicht einfach sein und ganz sicher wird es nicht möglich sein es im voraus abstrakt zu auskalkulieren. Die Philosophie wird sich wieder einmal ziemlich unprofessional benehmen müssen und besser gesagt: spezifisch dilletantisch. Ein gewisser Amateurismus gehört jedoch seit dem Anfang an zum Inbegriff der Philosophie als der Liebe zur Weisheit. Ich muß gleich zugestehen, daß unsere „östlichen“ Bedingungen zu einem echten philosophischen Dilettantismus nicht so günstig sind, wie es vielleicht manchen scheinen möchte. Es muß sich doch um einen besonderen, nämlich um einen belehrten Dilettantismus handeln. Und gerade in dieser Richtung brauchen wir eine breite Hilfe. Nichtsdestoweniger können wir mit Sicherheit behaupten, daß hier jede Routine und formelle akademische Professionalität höchstwahrscheinlich blind bleiben wird. Jedenfalls wird man jetzt mindestens in gewisser Hinsicht der ganzen bisherigen philosophischen (und auch theologischen, naturwissenschaftlichen usw.) Überlieferung entgegen „trotzdem-denken“ müssen.

Die Entscheidung der Universität von Amsterdam, mich mit dem Ehrendoktorat zu beehren, hat mich gerührt und erfreut. Ich möchte dafür meinen herzlichsten Dank ausdrücken. Angesichts der obererwähnten übergroßen, ja ungeheueren denkerischen Aufgaben, vor denen auch ich mich zu stehen fühle, erscheint mir das Gewicht dieser Beehrung zu groß, so daß ich es ein wenig verteilen muß. Ich denke in diesem Augenblick auf viele Freunde und Bekannte sowie Unbekannte, an meine Lehrer und Kollegen, aber auch auf die sympathisierenden Nicht-philosophen, ohne welche alle philosophische Tätigkeit, nicht nur meine, sondern in demselben Sinne auch jedes anderen „unabhängigen“ Denkers in unserem Lande einfach unmöglich wäre. Ich muß auch an die Mitglieder meiner Familie denken, für die es gar nicht einfach war und ist mit mir zu leben. Aus meinem ganzen Herzen möchte ich auf die erstaunlichen Leistungen zahlreicher Philosophen aufmerksam machen, die in den vergangenen Jahren zu uns gekommen sind, um uns zu ermöglichen, im Kontakt mit dem abendländischen Denken zu bleiben, und ihnen dafür unsere tiefste Dankbarkeit ausrichten. Und nicht weniger sind wir verpflichtet der Unmenge derer, die auf verschiedenste Weise geholfen haben und immer noch helfen, daß solches Unternehmen, sowie andere Formen desselben, möglich werden konnte und möglich sein wird. Der letzte Dank soll Ihnen gehören, die in diesem Augenblick anwesend sind, für Ihre Teilnahme, für Ihre Sympathie und ihr Interesse. Es tut mir wirklich leid, daß ich nicht dabei sein darf und kann.

Ich danke Ihnen allen.